Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie zur finanziellen Förderung der Psychotherapie-Evaluationsforschung in der Bundesrepublik Deutschland

Vorbemerkung

Nach § 1 (3) des Psychotherapeutengesetzes ist Psychotherapie definiert als "jede mittels wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert". Gemäß dieser Definition kann nur eine Ausbildung in wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Verfahren zur Approbation als Psychologischer Psychotherapeut oder Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut führen. Im gleichen Sinne sprechen die Psychotherapierichtlinien davon, dass unter Psychotherapie Verfahren zu verstehen sind, "deren spezifische Behandlungsmethoden in ihrer therapeutischen Wirksamkeit belegt sind". Auch in den ärztlichen Weiterbildungsordnungen wird eine Psychotherapieweiterbildung in "wissenschaftlich anerkannten Verfahren" verlangt.

Gemäß § 11 des Psychotherapeutengesetzes hat der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie die Aufgabe übertragen bekommen zu prüfen, ob ein Psychotherapieverfahren als wissenschaftlich anerkannt gelten kann. Dies beinhaltet vor allem die Beantwortung der Frage, ob die Nachweise für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Psychotherapieverfahrens nach geltenden wissenschaftlichen Regeln erbracht sind. Dies setzt eine größere Zahl von Studien, z.T. mit Kontrollgruppen, mit Nachuntersuchungen, mit versorgungsepidemiologischen Untersuchungen und Untersuchungen zur Qualitätssicherung voraus. Studien dieser Art verlangen einen erheblichen materiellen Aufwand. Zum Vergleich ist auf Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsuntersuchungen im Bereich der Psychopharmakotherapie hinzuweisen. Eine von Methodik und Aufwand her vergleichsweise einfache kontrollierte Arzneimittelprüfung mit einem Antidepressivum kostet nach einschlägigen Erfahrungen etwa 1 - 2 Mio DM, die Neueinführung eines einzelnen Psychopharmakons etwa 300 bis 500 Millionen US$. Gleichwertige Psychotherapiestudien und -entwicklungen erfordern wegen des größeren methodischen Aufwandes eher noch größere Summen.

Es wurden in der Psychotherapieforschung inzwischen eine Reihe von beispielhaften Evaluationsstudien durchgeführt, die gezeigt haben, dass auch in diesem Bereich Wirksam keitsstudien mit hinreichender methodischer Qualität machbar sind und dass auf diese Art für psychotherapeutische Verfahren klinisch überzeugende Wirkungen belegt werden konnten. Dennoch gilt, dass es insgesamt zu wenig methodisch adäquate Studien gibt, und dass vorhandene Studien häufig zu geringe Patientenzahlen haben, die Behandlungsgüte nur unzureichend kontrolliert haben oder sich nur auf wenige ausgewählte Indikationen beziehen. Dies gilt selbst bei großzügiger Auslegung wissenschaftlicher Mindeststandards. Stand und Umfang der evaluativen Psychotherapieforschung sind unzureichend.

Aufgrund der Erweiterung der psychotherapeutischen Versorgung kommt der Anwendung von Psychotherapie eine ähnliche Bedeutung zu, wie z. B. der Psychopharmakotherapie. Daher ist es eine gesundheitspolitische Notwendigkeit, auch ähnliche Evaluationsanforderungen zu stellen. Die Anforderungen an die Qualitätssicherung von Therapieverfahren müssen allgemeine Gültigkeit haben. Daher müssen auch psychotherapeutische Krankenbehandlungen auf einem soliden wissenschaftlichen Fundament stehen. Des Weiteren muss die Möglichkeit bestehen, dass es auch im Bereich der Psychotherapie eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Verfahren gibt. Es darf nicht zu einem Stillstand der Entwicklung kommen, weil einerseits hohe Qualitätsanforderungen an den Wirksamkeitsnachweis gestellt werden müssen, andererseits aber die Mittel fehlen, diesen Forderungen gerecht zu werden.

Es ist keine Fördereinrichtung erkennbar, die es finanziell ermöglichen würde, die notwendigen Studien durchzuführen. Die erforderlichen finanziellen Größenordnungen sind im Rahmen der bestehenden Forschungsförderungsstruktur nicht aufzubringen. Es handelt sich zudem auch nicht um eine Grundlagenforschung im engeren Sinne sondern um eine Forschung im Rahmen der Strukturqualitätssicherung.

Als Vergleichswert für die erforderlichen Mittel können die Ausgaben für die Psychopharmakaforschung herangezogen werden. In Deutschland werden pro Jahr nach Angaben des Verbandes der Forschenden Industrie und des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie etwa 1,3 Mrd DM für die ZNS-Forschung ausgegeben. Nimmt man statt dieser Zahl den Umsatz als Bezugsgröße, dann gibt die GKV ca. 1 Mrd DM pro Jahr für Psychopharmaka aus, ohne Anrechnung der Generika. Geht man von einem Anteil von 8% für Forschung, 7% für Medizinische Information und 3% für Werbung im engeren Sinne aus, dann ergibt dies einen Anteil von etwa 180 Mio DM pro Jahr, die in diesem Betrag für Forschung und Wissensdistribution (Werbung, Medizinische Information, Kongresse) über den Preis von den Krankenkassen aufgewendet werden. Dabei gilt als anerkanntes Prinzip, dass für neue Präparate wegen des dahinter stehenden Forschungsaufwandes ein höherer Preis verlangt werden kann.

Der Wissenschaftliche Beirat kann in Erfüllung seiner Aufgabe aus fachlichen Überlegungen, wie insbesondere auch zum Schutze der Patienten und der Sozialversicherungen vor unwirksamen oder schädlichen Behandlungen, nicht davon absehen, Mindestanforderungen an die methodische Solidität der erforderlichen wissenschaftlichen Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsnachweise zu stellen. Dies verpflichtet den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie darauf hinzuweisen, dass dringend die Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um die erforderliche Evaluationsforschung auch durchführen zu können.

Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie fordert die Bundesregierung, die Krankenkassen, die Rentenversicherungsträger und die Forschungsorganisationen auf, die organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen für eine adäquate Evaluationsforschung im Bereich der Psychotherapie zu schaffen.

Hierzu ist anzumerken, dass es nicht damit getan sein kann, einzelne Studien oder Modellprojekte zu fördern oder vorübergehende Forschungsschwerpunkte zu etablieren. Stattdessen muss eine kontinuierliche Förderung der Evaluationsforschung sichergestellt werden. Hierzu sind Bewilligungsstrukturen zu schaffen, die ggf. auch erforderliche Studien initiieren können. Entsprechende Modelle gibt es in den USA mit dem NIMH oder in Großbritannien im NHS.

Köln, den 08.06.2000

Prof. Dr. S.O. Hoffmann (Vorsitzender)

Prof. Dr. J. Margraf (Stellv. Vorsitzender)